„Muddi, du brauchst ein Nachwuchspferd!“
Im Mai 2017 fand wie jedes Jahr der Reitertag auf dem Reiterhof Gläserkoppel statt. Ich hatte Ingvar für die beiden A-Dressuren genannt, ritt hin und Ingvar machte seine Sache auch – wie immer – sehr gut. Auf dem Rückweg bemerkte ich aber, dass Ingvar unklar lief. (Hier die Geschichte über Ingvar Teil I und Teil II )
„Der braucht allmählich mehr Ruhe!“, urteilte meine jüngste Tochter Swantje. „Muddi, du brauchst so langsam mal ein Nachwuchspferd!“
Eigentlich hatte ich das Nachwuchsfjord erst für meinen 60. Geburtstag geplant, aber Swantje hatte sicher Recht, wenn sie meinte, Ingvar müsse langsam mal auf Altersteilzeit. Mein Mann sah das auch so, und so fing ich voller Vorfreude an, Verkaufsanzeigen zu studieren.
Nun sind verkäufliche Fjordpferde ja nicht allzu dicht gesät. Verkäufliche erwachsene Fjordpferde noch weniger dicht, und wenn sie dann auch noch eine erhebliche Mindestgröße haben müssen, wird es richtig schwierig. Fehlanzeige in Schleswig-Holstein.
Ich erweiterte den Suchradius bis in angrenzende Bundesländer, und siehe da: In Hamburg und Niedersachsen wurde ich fündig. Es ließ sich zum Schluss sogar eine ganze Besichtigungstour zusammenstellen: In Hamburg gab es einen Wallach in einer Reitschule, in Bremervörde einen weiteren Wallach, einen Weißfalben aus Klosterhofer Zucht, und in der Nähe von Bremen stand eine fast vierjährige Stute zum Verkauf. Eine Kvirlo-Tochter.
Über Kvirlo hatte ich im IGF-Mitgliederheft „Das Fjordpferd“ schon öfter etwas gelesen: Er war als Fohlen hochdekoriert und später als Distanzpferd auf unfassbar langen Strecken unterwegs gewesen. Ich hatte ihn sogar bei einer Fjordwoche mal live gesehen, wo er sich in einer Prüfung als „wüüüülder Hengst“ präsentierte und es seiner jungen Reiterin nicht leicht machte...
Dadurch, dass die beiden Wallache auf der Strecke standen, nahm ich auch sie auf den Zettel – für die einfache Fahrt wäre die Entfernung vielleicht zu groß gewesen. 300 Kilometer, um ein Pferd anzusehen?
Dachte ich jedenfalls, denn mein Mann hätte sicher heftig protestiert. Nicht so Swantje, 18 Jahre alt und frischgebackene Inhaberin eines Anhängerführerscheins. „Wenn da ein tolles Pferd steht“, versprach sie, „dann fahren wir da auch hin.“
Odyssee nach Hiddigwardermoor
Als wir dann aber am darauffolgenden Sonntag losfuhren, war der Weißfalbe bereits verkauft. Schade! Aber wir hatten eine Verabredung mit Louise Ostermann in Berne und waren gespannt auf die Stute.
Wir kamen bis Bargteheide. Dann war das Autobahndreieck gesperrt und wir standen im Stau. Swantje nahm es gelassen. „Das Wetter ist gut, die Musik ist gut – ist doch alles easy!“ Ich freute mich zwar, dass sie nicht genervt war, dachte aber mit jedem Blick auf die Uhr mit mehr Unruhe an meine Verabredung. Es war noch weit bis Berne und wir kamen höchstens im Schritttempo voran.
Schließlich rief ich Louise an und sprach mit ihr einen neuen Termin zwei Wochen später ab. Statt dessen fuhren wir – weiterhin Stop and Go, denn auch die Umgehungsstraßen waren völlig überlastet – nach Hamburg, um den Wallach dort kennen zu lernen und festzustellen, dass er nicht in Frage kam.
In den folgenden zwei Wochen dachte ich oft mit Sorge an die Stute. Hoffentlich fand sie in der Zwischenzeit keinen Käufer! Aber ich hatte Glück, und so setzte sich Swantje am übernächsten Sonntag erneut hinter das Steuer unseres VW-Bus und startete mit meinem Mann und mir an Bord zum nächsten Versuch. Immerhin kamen wir diesmal fast ohne Stau bis Bremen und wurden erst da zu einem kleinen Umweg gezwungen: Wir gönnten uns eine Weser-Überquerung mit der Fähre und erreichten so über kleine Straßen endlich das Fjordgestüt der Familie Ostermann in Berne, genauer: in Hiddigwardermoor. Wer jetzt aufgrund des Ortsnamens denkt, das liege am Ende der Welt, hat absolut Recht.
Koletta stand auf dem Hof in einem großzügigen Offenstall und erwartete uns schon: eine ziemlich überbaute Stute mit leichtem (?) Übergewicht, „im Brauereipferdetyp“, wie mein Sohn Lennart später respektlos bemerkte, und einem puscheligen kleinen Schopf, darunter dunkle Augen mit freundlichem, unternehmungslustigen Blick. Ich fand sie unfassbar niedlich und verlor eigentlich gleich mein Herz an sie.
Louise erzählte mir ihre Geschichte: Sie entstammt nicht der hofeigenen Zucht, sondern war als Jährling aus dem Rheinland gegen eine gleich alte Stute aus iher Zucht getauscht worden, die mit allen vier Ostermann-Hengsten verwandt ist. Unglücklicherweise verstarb Kolettas rheinischer Züchter kurz darauf, weswegen seine Witwe die Zucht verkleinern wollte und Ostermanns bat, ihre Stute zurückzunehmen. Also wuchsen dann doch beide in Hiddigwardermoor auf.
Einige Wochen vor unserem Besuch waren die beiden bei der Stuteneintragung des Zuchtverbands Weser-Ems vorgestellt worden. Die Altersgefährtin aus Ostermanns Zucht wurde zur Eliteschau eingeladen, Koletta nicht. Und da sie ohnehin den Eindruck machte, als wäre ihr ein Dasein als Zuchtstute auf die Dauer viel zu langweilig, suchte man nun ein neues Zuhause bei einem Menschen, der hauptsächlich reiten und vielleicht auch irgendwann mal mal ein bisschen züchten wollte. Na, das klang doch ganz nach mir!
Koletta war eingefahren, aber nur leicht angeritten. Ich schwang mich trotzdem in den Sattel und ließ auch Swantje mal vorreiten. „Die macht mehr Spaß als Ingvar!“, verkündete sie – na gut, sie findet ruhige, zuverlässige Pferde wie ihn einfach langweilig. Aber Koletta machte ihre Sache dafür, dass erst zum neunten Mal jemand auf ihrem Rücken saß, tatsächlich schon richtig gut.
Koletta zieht in den echten Norden
Ich sollte eine Nacht darüber schlafen, aber eigentlich war die Sache klar. Am nächsten Morgen meldete ich Louise Ostermann, dass ich Koletta gern kaufen würde. Sie war sichtlich angetan von dem Gedanken, denn sie fand, ich hätte in einer halben Stunde mehr „Draht“ zu ihr entwickelt als sie in anderthalb Jahren. Na ja, wenn man den ganzen Hof voller wunderschöner selbst gezogener Fjordpferde hat, hat eine „Zugereiste“ es vielleicht nicht leicht, dieselbe Stellung im Herzen zu erobern...
Und so hängte Swantje drei Tage später den Anhänger an den VW-Bus und wir brachen zum dritten Mal in Richtung Hiddigwardermoor auf. Zuvor hatten wir gefragt, ob wir einen Kumpel als Begleitung für die Fahrt mitbringen sollten. „Nicht nötig!“, war die Auskunft. „Die ist schon mit anderthalb Jahren allein aus dem Rheinland gekommen.“
Koletta erwartete uns adrett frisiert, mit neuem Halfter und frisch bearbeiteten Hufen. Sie stieg wie ein alter Profi in unseren Anhänger und stand auf der vierstündigen Fahrt so ruhig, dass wir uns unterwegs fragten, ob wir sie wirklich mitgenommen hatten. Und das mit noch nicht einmal vier Jahren!
Inzwischen ist Koletta drei Jahre bei mir. Sie hat den Weg vom gerade angerittenen Jungpferd zur zuverlässigen Freizeitpartnerin längst geschafft und entwickelt sich immer weiter. Aus jeder Reitstunde nimmt sie etwas mit, egal, ob zu Hause bei unserer Trainerin oder beim Geländelehrgang in Süsel.
Und Zuchtstute ist sie auch – davon aber später!
05.08.2020 Antje Kock aus Preetz
Anmerkung der Redaktion: Wie wir hörten wurde Koletta am 12. August 2013 geboren.
Herzlichen Glückwunsch zum heutigen Geburtstag beste Koletta!