Im ersten Teil der Geschichte konnten wir bereits viel über Jarle und Christina erfahren. Hier geht die Geschichte nun weiter.
Jarle entwickelte sich zu einem hervorragenden, feinen Reitpferd, welches wirklich gerne arbeitet.
Sie ist nie widersetzlich oder stur, was ich in dieser Form bei einem Pferd - gleich welcher Rasse - noch nie erlebt habe.
Ihre reiterliche Ausbildung schritt voran und so wagten wir uns auf die ersten Turniere.
Auch hier waren wir mit viel Spaß und recht erfolgreich unterwegs.
Da, in meinem Augen, zur Grundausbildung eines Pferdes auch "echtes" Geländereiten und Geländespringen gehören, fuhren wir gelegentlich zum Training nach Elmshorn zu Familie Dose-Dibbern und nach Süsel in den Geländepark.
Es stellte sich heraus, dass "Springen" nicht unbedingt Jarles größtes Talent ist (ok, meins auch nicht).
Durch ihren Gehorsam und ihre Rittigkeit wird das aber mehr als wett gemacht und so wurde sie nach und nach zu einem "bombensicheren" Geländepferd, was jedes Hindernis angeht, das man anreitet. Oft mit sehr eigenwilliger Technik, aber immer voller Mut und Vertrauen.
Wir entwickelten beide viel Spaß am Geländetraining.
So trauten wir uns, 2016 in Bad Segeberg die Freizeitpferde-Eignung zu nennen.
Diese ist dem Bundeschampionat des Freizeitpferdes angelehnt, allerdings ohne GGA- und Fremdreitertest.
Dort schnitten wir überraschend gut ab und die Richter legten mir nahe, doch auch mal für das Bundeschampionat des Freizeitpferdes in Verden zu nennen.
EIGENTLICH war mir das Bundeschampionat ein paar Nummern zu groß, aber warum eigentlich nicht...mehr als den Platz kaputt zu reiten kann uns ja nicht passieren.
Nachdem Jola im Herbst 2017 abgesetzt war, begannen wir, gezielt zu trainieren.
Leider warf uns eine unerwartete, schwere Impfreaktion auf die, sonst immer gut vertragene, Influenzaimpfung um mehrere Monate im Training zurück.
Als Vorbereitung für Verden starteten wir in Bad Segeberg nochmal die Freizeitpferde-Eignung und schnitten sogar besser ab, als im Vorjahr.
Das wenige Wochen später stattfindende Bundeschampionat in Verden war eine sehr anstrengende Veranstaltung und um einiges anspruchsvoller und schärfer gerichtet, als die Prüfung in Bad Segeberg.
Altersmäßig durfte Jarle noch in der geschlossenen Klasse der Jungpferde starten.
Sie hat wirklich ihr Bestes gegeben und in den verschiedenen Prüfungsteilen gute Noten bekommen.
Vor allem haben wir uns über die 10 für den Geländeritt gefreut und die Freude war noch größer, als wir mit einer Gesamtnote von 8,11 einen hervorragenden 6. Platz belegen konnten!
Damit waren wir für einen erneuten Start in 2019 "angefixt", auch wenn wir dann in der offenen Klasse der älteren (erfahrenen und weiter ausgebildeten) Pferde antreten müssen.
Immerhin starten beim Bundeschampionat alle Rassen und ein Fjord kann im Regelfall gegen ein toll ausgebildetes und mit besten GGA ausgestattetes Warmblut EIGENTLICH nicht wirklich "gegenanstinken"...aber so what, dieses Turnier macht riesigen Spaß und fragt gnadenlos eine korrekte, breit aufgestellte Ausbildung von Pferd und Reiter ab. Diese haben wir - check - also Nennung abschicken und gucken, was passiert.
Unser vorsichtiges Ziel war eine Platzierung im Mittelfeld, im Zweifelsfall nicht Letzter zu werden.
Im Januar 2019 hatten wir großes Verletzungspech: Ein in unsere Koppel eingebrochenes Pferd der Nachbargruppe fügte Jarle eine so schwere und tiefe Kronrand- und Saumbandverletzung mit Eröffnung des Krongelenkes zu, dass lange nicht sicher war, ob das nicht letztendlich das Todesurteil für sie werden würde, sollte sich das Gelenk aufgrund des eingedrungenen Drecks unheilbar entzünden.
Aber Jarle kämpfte sich durch und dank einer guten Tierärztin und einem begnadeten Hufschmied heilte die Verletzung folgenlos aus.
Dadurch, dass der Termin des Bundeschampionates auf den 1. Mai vorgezogen wurde, hatten wir nur mehr knapp 8 Wochen Zeit, um zu trainieren.
Ich habe lange überlegt, ob wir überhaupt antreten, aber Jarle baute bis dahin recht gut Kraft und Kondition auf.
Wenn ich nur sehr kurz abreite und zwischendurch möglichst viele Pausen machen würde, sollte es gehen. Zur Not kann ich die Prüfung immer noch abbrechen, wenn ich merke, dass es zu viel wird.
Bei einem angebotenen Trainingstermin bei Familie Dose-Dibbern stellte sich heraus, dass eine ganze, gemischtrassige Truppe aus Schleswig-Holstein nach Verden fahren würde und sofort tat man sich zusammen.
In Verden angekommen sank beim Blick auf die Starterliste unser Mut, so viele tolle Pferde am Start und ich mit meiner halb-trainierten, dicken Gelben dazuwischen.
Egal, denn damit fiel plötzlich jeglicher Druck von mir ab und ich konzentrierte mich darauf, nur "freundlich und gelassen" zu reiten und die Rasse Fjord möglichst harmonisch zu präsentieren.
Aus der Dressur kamen wir immerhin mit einer 7,3 und lagen damit schon deutlich im vorderen Drittel aller Starter.
Als nächstes folgte der Fremdreitertest und nach dem Ritt übergab mir eine breit grinsende Fremdreiterin Jarle mit dem Kommentar: Die hat sich ihre 9 wirklich verdient! So viel Rittigkeit erwartet man bei der Rasse eher nicht! Tolles Pony!"
Da die Fremdreiternote doppelt gewertet wird, freute ich mich natürlich doppelt!
Der Gehorsamstest ist mit der anspruchsvollste Teil des Bundeschampionates und wird ebenfalls doppelt gewertet.
Jarle ist leider manchmal etwas töffelig unterwegs, vor allem, wenn sie abgelenkt ist.
Zeitgleich fand auf dem Nachbarplatz eine Vorführung für Trick-Dogs statt, die laut kläffend Kunststücke vorführten und Frisbees hinterher sprangen. Jarle war davon völlig fasziniert und entsprechend guckig, als wir in den Parcours ritten.
So gut es mit einem "dezent unkonzentrierten" Pferd eben ging, steuerten wir behutsam durch die Hindernisse - vor allem das Stangenlabyrinth ist tricky, wenn das Pferd lieber Hunden zugucken, als auf seine Füße aufpassen möchte.
Zu meiner völligen Verblüffung beendeten wir diese Prüfung fehlerfrei mit der Note 10!
Jetzt bekam ich langsam weiche Knie, denn wir waren ordentlich in der Dressur und hatten eine 9 und eine 10 sicher, die jeweils doppelt zählen.
Dabei kamen jetzt erst die Prüfungsteile, die Jarle wirklich gut kann: Gruppengeländeritt und Geländespringen.
Jetzt hatte es mich doch noch "gepackt" und mein, sonst eher wenig ausgeprägter, Ehrgeiz erwachte.
Bei der Bewertung der GGA würden wir nichts "gewinnen" - Fjord unter Warmblütern und Reitponies...geschenkt!
Trotzdem bekam Jarle im Schnitt eine 7 für die GGA, damit war ich sehr zufrieden!
Der Gruppengeländeritt ist unsere Paradedisziplin: Jarle läuft problemlos an allen Positionen in jeder Gangart, überholt und lässt sich überholen, bleibt gelassen, wenn andere Pferde abspacken... diese 10 hatten wir locker - quasi am langen Zügel - erritten.
Da das Geländespringen unmittelbar anschloss, hatte ich keine Zeit, um mir unseren aktuellen Stand auszurechnen.
Jarle war schon sehr müde, da wir aber viel Spaß am Geländereiten haben, gab sie nochmal alles und zog sogar auf den Wasserdurchritt, der eher ein Modderloch in einer Senke ist, ordentlich an.
Planmäßig wollte ich dort - wie schon im Vorjahr - im Schritt durch (Gangart ist hier nicht vorgegeben, Hauptsache, das Pferd geht ohne Zögern durch), aber Jarle flitzte mit gespitzen Ohren auf das Wasser zu und so ließ ich ihr den Spaß, ordentlich spritzend durch das Wasser zu brettern, sehr zur Freude des Publikums, das uns dafür Szenenapplaus spendierte.
Wir kamen sogar passend an die Sprünge und beim Zieldurchritt schlenkerte Jarle albern mit dem Kopf, sie hatte genauso viel Vergnügen, wie ich.
Für diesen Ritt bekamen wir großes Lob der Richter und die Note 10...die dritte 10 an diesem Tag! Der Hammer!
Bis zur Siegerehrung gab es eine größere Pause und ich kam rechnerisch auf eine Gesamtnote von 8,63!
Damit hatten wir uns zum Vorjahr deutlich verbessert, aber welcher Platz würde es werden?
Es waren so viele tolle Reiter und Pferde am Start, eine viel größere Gruppe als im Vorjahr, ständig war von allen Ecken des Platzes Jubel zu hören, wenn hohe Noten vergeben wurden.
Ich wurde mächtig nervös und hoffte leise auf eine möglicherweise bessere Platzierung, als im Vorjahr.
Als bei der Siegerehrung nur noch vier Pferde vor mir waren, hab ich mich schon riesig gefreut - wir waren besser, als im Vorjahr...und das nur mit wenig Training. Klasse!
Dann waren nur noch drei und dann zwei Pferde mit uns in der hinteren Reihe.
Schließlich nur noch ein Haflingerhengst und Jarle.
Die Hafi-Reiterin wusste ihre Noten leider nicht und während der Sprecher es spannend machte, vergingen wir beide fast vor Nervosität.
Wir gratulierten uns gegenseitig - wer von uns auch immer gewinnen möge - und freuten uns, dass auf den ersten beiden Plätzen Vertreter der Robustrassen waren.
Der Sprecher machte es mit "Fjord versus Haflinger" weiterhin spannend, meine ebenfalls mitgereiste Mutter kniff Ole vor Anspannung blaue Flecken in den Arm.
Schließlich wurde zuerst der Haflinger aufgerufen und ich brauchte einen Moment bis es bei mir ankam:
Wir sind als letztes übrig.............wir haben GEWONNEN!
Mein kleines, gelbes Punker-Pony, das zum Teil noch im Winterfell steckte und ich...gegen all die vielen Sportpferde und-ponies...echt jetzt????
Das Gefühl, mit der schwarz-rot-gelben Schärpe alleine in der ersten Reihe zu stehen, während die Nationalhymne erklingt, ist unbeschreiblich und sehr emotional.
Dieser einzigartige Moment, der nur "uns" gehörte, ging viel zu schnell vorbei!
Nach der Siegerehrung haben sich alle Schleswig-Holsteiner zusammengefunden und nicht nur auf unseren Sieg, sondern auch auf die anderen, hervorragenden Platzierungen der fröhlichen Nordlichter angestoßen, die waren nämlich insgesamt sehr gut dabei!
Erst auf der Rückfahrt - und nachdem meine in Tränen aufgelöste Mutter sich eingermaßen wieder beruhigt hatte - habe ich realisiert, dass wir tatsächlich "Bundeschampion der Freizeitpferde" sind und dass Jarle das erste Fjordpferd überhaupt ist, welches die offene Klasse gewinnen konnte!
Was für ein toller Erfolg!
Aber das war noch nicht die letzte Veranstaltung des Jahres.
In einem Anfall von Wahnsinn habe ich Jarle für die Bundesstutenschau der Fjordpferde genannt.
Die fand dieses Mal am anderen Ende der Republik statt: In Zweibrücken!
EIGENTLICH ist mir klar, dass Jarle nicht das Pferd ist, welches aktuell auf Schauen hoch bewertet wird.
Ist sie doch zu gedrungen, kurzbeinig und sehr deutlich im Rechteckformat stehend, Hals und Widerrist könnten auch schöner sein...naja, irgendwas ist ja immer...ich neige eh dazu, mein eigenes Pferd überkritisch zu sehen...
Aufgrund der Lage von Zweibrücken würden auch viele Züchter aus Hessen und dem Rheinland kommen, die in der Regel deutlich leichtere, reitpointiertere Fjordpferde mit sehr viel Bewegung züchten.
Da würde mein kleiner Dackel mit den starken (aber geraden!) Beinen keinen Blumenpott gewinnen.
Auch hier war wieder der olympische Gedanke im Vordergrund, zumal zeitgleich das Jubiläum der IG Fjordpferd stattfand und Fjordleute aus allen Bundesländern und dem benachbarten Ausland zusammentreffen würden.
Das wollten wir uns natürlich nicht entgehen lassen.
Nach 9 Stunden Fahrt in Zweibrücken angekommen, durfte Jarle eine herrlich kühle Box im historischen Stalltrakt des alten Landgestütes beziehen.
Einen weiteren Tag hatten wir zum Ankommen und Entspannen eingeplant und waren entsprechend früh angereist.
Wir nutzten den faulen Tag um mit Jarle über das Gelände zu schlendern, den Turnierprüfungen des Fjordcups zuzugucken und ausgiebige Klönschnacks zu halten.
Am nächsten Tag ging die Schau früh los und ein Blick in den Katalog offenbarte die qualitätsvollen Teilnehmerinnen in Jarles Klasse, die ich fast alle schon von anderen Schauen kannte und gegen die wir immer hinten gelaufen sind.
Aber hey, dabei sein ist alles und zumindest hübsch gucken konnte Jarle schon immer gut, wenn es drauf ankam...!
Unsere Vorstellung war so lala, wenn der zweibeinige Bremsklotz am anderen Ende der Zügel nicht gewesen wäre, hätten unsere zwei Runden auf dem Dreieck deutlich besser sein können ;-).
Erwartungsgemäß wurde auf dem Schrittring alles rangiert, außer Jarle.
Wir liefen Runde um Runde an vorletzter Stelle und trotzdem habe ich mich gefreut: "Toll! Wir sind in dieser starken Klasse nicht Letzter!"
Damit war ich zufrieden, denn ich hatte auch nichts anderes erwartet.
Die Richter guckten dann noch eine ganze Weile auf Jarle rum und besprachen sich, derweil kniff am Rande des Platzes meine nervöse Mutter Ole neue blaue Flecken in den Arm.
...vielleicht können wir ja noch einen Platz gut machen...das wäre wirklich toll...
Wir wurden in die Mitte gebeten und dann an zweiter Stelle wieder eingereiht!
Dass Jarle auf einer Bundesschau einen 1b-Rang in ihrer Klasse erreichen würde und damit sogar Endringteilnehmerin wurde, war eine ganz große Freude für uns!
Als die Stuten bei der Ehrung einzeln besprochen wurden, hieß es, wenn sie mehr Fohlen gehabt hätte, wäre sie sogar an 1a gelaufen.
Im Laufe der weiteren Kommentierung wandelte sich unsere große Freude in eine Riesen-Freude, denn Jarle bekam als "bedeutende Stute" mit einer Arbeitsnote von 8,4 die Bundesprämie verliehen!
Da flossen dann doch hier und da ein paar Freudentränen und Ole musste meine - zum zweiten Mal in diesem Jahr - völlig aufgelöste Mutter erstmal irgendwo hinsetzen!
Dass Jarle - als 1b-platzierte - auf dem späteren Endring natürlich keine "Schärpe" ab bekam war uns von vorneherein klar und auch völlig egal, so groß war die Freude über die errungene Bundesprämie! Das war schon so viel mehr, als wir jemals erhofft hatten.
2019 war "unseres": Bundeschampion und Bundesprämie innerhalb eines Jahres...wir sind sehr stolz auf unsere Jarle, die ihre Qualitäten sowohl im Zucht-, als auch im Sportbereich so deutlich unter Beweis stellen konnte!
Mit dem doppelten Bundes-Erfolg bekam sie dann auch ein "Upgrade" im Spitznamen...denn der lautet jetzt "Bundes-Else" - absolut verdient, wie wir meinen!
14.08.2020 Christina Tietgen
Fotos von: Ole Jörke, Fine Busch, Monika Lahann