Die „Mikroabenteuer“ sind in aller Munde: im Alltag etwas Außergewöhnliches erleben – unerwartet, spannend, anders….für diese Mikroabenteuer gibt es viele Tipps.
Ein Tipp jedoch fehlt: Mit Ponys leben. wer Ponys hält, bekommt seine Abenteuer – oft ganz unerwartet , unverhofft und ungewollt – „geschenkt“.
Mein heutiges Abenteuer hat mich so erstaunt, daß ich es gerne erzählen möchte:
Sonntag Morgen – 9. Oktober 2022 : Herbstferien. Gestern sind die Ferienkinder angereist. Unsere Ponys hatten zum großen Teil Weideferien seit den Sommerferien. Bereits in den vergangenen Tagen haben wir von den Weiden Ponys nach Hause gefahren. Heute morgen wollen wir noch die letzten 18 Ponys holen.
Wir sind früh im Stall, stellen die Einstreuanlage an, füttern die Ponys zu und fahren los. Die ersten 5 Ponys werden von einer Weide geholt, die 3 km entfernt ist. Alles problemlos.
Bei der zweiten Tour fahren wir dann noch einen Kilometer weiter zu einem Deich, den wir gepachtet haben. 10 Ponys genießen dort ihre Urlaubszeit: 4 Welsh A, 1 Welsh B, 6 Shettys. Die Shettys sind alt und ruhig. Einige Ponys kommen auf Zuruf, andere grasen weiter (wenn wir die Chefs ignorieren, vergessen sie uns vielleicht hier – oder „wir sind bestimmt nicht gemeint“… ) Pia lädt zusammen mit dem Azubi Mats auf den Hänger : Sid, Welsh B, Yao, Welsh A, Yolo, Welsh A, Yamie Red, Welsh A und Poldi, Shetty. Sie fahren los nach Hause. In der Zwischenzeit werde ich die anderen Ponys aufhalftern und zum Tor führen ( die Weide ist fast 1 km lang, ein alter Deich, Frühsport ). Los geht’s.
Die beiden Welsh A Buben Fernando und Ybo halftere ich als erstes auf, dann hole ich die beiden Shetty-Wallache Spatz und Spock, die beide auch schon auf die 30 zugehen. Der letzte Wallach ist der älteste der Gruppe. Leo, Shettywallach, 34 Jahre alt. Seit 30 Jahren bei uns.
Leo ist langsam, ruhig und abgeklärt. Leo hat schon alles gesehen. Leo läßt sich problemlos einfangen. Er läuft mal ein paar Schritte, aber, hey, Schritte eines sehr alten Shettys. Das ist kein Problem, dann werden meine Schritte eben größer und ich habe ihn. Normalerweise.
Heute morgen beschließt er: ich lasse mich nicht einfangen und aufhalftern. „Na gut, altes Pony, dann läufst du frei mit“ denke ich . Es ist immer noch früh am Sonntagmorgen und außer uns schläft gefühlt noch das ganze Dorf Schülp.
Ich will jetzt auch nicht stehen und warten auf das Ponytaxi mit Pia und Mats. Warten und Geduld ist nicht meine Stärke. Ich beschließe, dem Ponytaxi entgegenzugehen. Dann brauchen sie nicht mit Auto und Hänger in die Sackgasse fahren, an deren Ende die Weide ist.
Mit vier Ponys am Strick und um mich herum öffne ich das Tor und schließe das Tor auch wieder , nicht so einfach, zwischendurch werden meine Arme lang gezogen. Alles zu, auch Leo ist mit hinausgegangen, das immerhin. Wäre ja noch schöner gewesen, wenn er gar nicht mitgekommen wäre… ein Pony kann und darf man nicht alleine auf einer Weide stehen lassen.
Und dann überholt der alte Leo meine Quadriga, mit flottem Schritt und zielstrebig. Auch gut – keine Menschen, kein Verkehr, Sackgasse. Ich kann ja sowieso nichts machen. Nach 50 m kommt eine Kreuzung. Rechts geht es nach Hause, links in das Dorf Schülp. In Schülp war Leo noch nie, dort reiten wir nicht aus, dorthin ist er auch nicht auf die Weide geritten worden, sondern wir fahren die Ponys mit dem Hänger auf die Weide. Leo läuft nach links! Zielstrebig und mit flottem Schritt. Nun versuche ich, meine vier Ponys ebenfalls zu einem flotten Schritt zu bewegen um den Leo zu überholen. Leo, der alte Kerl, läuft einfach noch flotter… keine Chance.
Mist, was mache ich nur! Noch mal 200 m weiter kommt die Hauptstraße es ist zwar überhaupt nichts los aber….der Teufel ist ein Eichhörnchen….Ich binde meine beiden Schwarzen an einen Pfahl und die beiden A´s an zwei Schilderpfähle auf der anderen Straßenseite. Schnell eine Whats App Nachricht mit Bild an Pia, damit sie Bescheid weiß und ich laufe Leo hinterher.
Leo, das alte Shetty ist verschwunden. Wie ich 100 m von der Hauptstraße entfernt bin, höre ich einen Trecker kommen. Einen großen Trecker. Und dann höre ich den Trecker in die Bremsen gehen. Es quietscht, es zischt und dann ist Stille. Mir wird ganz schlecht vor Angst und Schrecken. …Und dann, ganz leise, fährt der Trecker sehr langsam weiter.
Ich komme an die Straße und da sehe ich Leo, weiterhin unbeirrt und mit flottem Schritt auf der anderen Straßenseite zielstrebig in einen Weg einbiegen an einer Ponyweide. Dort steht ein Shetty. Ein Shettyanblick ist ihm wohl vertraut. Er läßt aber das Shetty „rechts“ liegen und läuft weiter. Und ich, wie ein Depp, hinterher. Schließlich wird er langsamer und ich packe ihn an der Mähne und dann am Nasenrücken und halftere ihn auf. Und dann laufen wir zurück Richtung Hauptstraße und Pia entgegen mit dem Hänger und den vier Ponys.
Pia hatte mittlerweile die 5 Ponys auf dem Hof abgeladen. War wieder zur Weide gefahren (hatte meine Whats App nicht gelesen) und sieht unsere 4 Ponys an der Wegkreuzung angebunden. Schaut links und rechts, wo ich bin und sieht gerade noch die Schwanzspitze von Dottla um die Kurve verschwinden. Dottla, mein Islandhund , war natürlich auch dabei bei der ganzen Aktion und ist uns -- immer in gebührendem Abstand – gefolgt. Sicherheitsabstand sozusagen. Denn Dottla mag keine freilaufenden Ponys.
So wußte Pia nun, anhand der erspähten Schwanzspitze, in welche Richtung wir entschwunden waren. Sie hat mit Mats die vier Kleinen aufgeladen und kam gerade rechtzeitig, als ich wieder, mit Leo im Schlepptau, auf die Hauptstraße einbog. Leo war nun wieder komplett ruhig und langsam und wie immer.
Es muß so mit dem Trecker gewesen sein: Leo läuft unbeirrt und im Schritt einfach über die Straße. Er ist absolut verkehrssicher. Und natürlich kommt in dem Moment der große Trecker mit einem ganz großen Anhänger voller Möhrenkisten und der Fahrer muß richtig in die Bremsen steigen. Wahrscheinlich war auch der Treckerfahrer sehr erschrocken und hat erst einmal gestanden und dem Pony hinterhergeschaut um dann sehr, sehr langsam weiterzufahren. Als ich an der Straße ankomme, sehe ich den Trecker ja noch langsam Richtung Wesselburen fahren.
Nun kann man ja mit Recht sagen: das ist doch unverantwortlich, ein Pony ungesichert mitlaufen zu lassen. Und damit, meine lieben Kritiker, habt ihr auch recht.
Nur: ich war so felsenfest überzeugt, daß Leo sich der Gruppe anschließt und auch eine Bindung zu mir hat. Wenn man 30 Jahre ein Pony hat, da ist ein Vertrauen und Sichersein und Ponys sind Herdentiere und es sind doch seine Kumpels (übrigens hat kein Pony auch nur einmal gewiehert, warum haben sie nicht mal gewiehert um den Leo zurückzuwiehern…). Und wenn man ein 34 Jahre altes Pony hat, welches normalerweise nur noch im Schongang lebt und arbeitet, denkt man doch nicht an sowas. Es wird mir garantiert nie mehr passieren und es wird eine dieser Geschichten werden, die ich meinen Ferienkindern erzähle – denkt nie, daß ein Pony sich immer „normal“ verhält!!
Nach 37 Sommern mit Ponys auf unserem Hof kann ich also sagen: ich erlebe immer noch Überraschungen. Und kommt mir nicht mit Mikroabenteuer – ich glaube, wir Ponyleute haben immer wieder genug Adrenalin im Blut!
Gottseidank ist diese Geschichte gut ausgegangen.
09.10.2022 Gudrun Wiezcorek