Autorin: Gesche Mahncke
Teil I: Nach 10 Jahren sollte es endlich wieder soweit sein: Ich fahre zur norwegischen Körung der Fjordhengste!
2009 war ich das erste- und bisher einzige- Mal da: zusammen mit Inka im „Hotel Avensis“ ( ein Toyota Kombi ;-) ) Das waren aufregende, informative und lustige Tage!
Danach war für mich klar, dass es nicht das einzige Mal bleiben sollte, aber es kam immer wieder was dazwischen: Termine, Unfälle, Pferde und Kinder...und auch die Tatsache, dass die Körung außerhalb der Schulferien stattfindet, denn ich verdiene das Futtergeld meiner Ponys als Schulbegleiter.
Zum Jubiläumsjahr 2019 (100 Jahre Körung in Nordfjordeid, 70-jähriges Bestehen des Zuchtverbandes und 30-jähriger Geburtstag des „Fjordhestsenters“) hatte ich mir aber geschworen, dass NICHTS meine Pläne über den Haufen werfen sollte: Sonderurlaub wurde eingereicht, die Versorgung der daheim Bleibenden gesichert (Wochenvorrat Doseneravioli) und die Unterbringung vor Ort geklärt: ein Stellplatz für unseren Multifunktionskastenwagen, in dem wir – mein Mann und ich- schlafen würden.
Ja, mein Mann wollte mit! Das fand ich ganz wunderbar, denn eigentlich sind die Pferde nicht sein Ding: er baut Zäune und Ställe, schraubt an meiner Kutsche herum und ist als Beifahrer auch gerne dabei, aber stundenlang auf gleich aussehende Pferde gucken? Er packte sicherheitshalber seine Angel ein.
Nach einer pittoresken, sehr langen Fahrt ( 1600km) kamen wir in Nordfjordeid bei bestem Frühlingswetter an und richteten uns auf dem Hof unseres Gastgebers Erhard ein. Erhard ist ein deutscher Auswanderer, der selbst Fjordpferde züchtet und auf der Körung seit vielen Jahren den Sprecher macht.
Wir waren nicht seine einzigen Gäste: Ein Züchter aus Frankreich – Jacqui- und der deutsche Vertreter der internationalen Fjordpferdevereinigung - Jochen- waren ebenfalls dort untergebracht.
Das würden tolle Tage mit stundenlangen Pferdegesprächen werden! Mein Mann tat mir jetzt schon leid...
Am nächsten Tag ging es los: eine Jungpferdeschau im Nachbarort war eine gute Gelegenheit, das Auge einzustimmen und erste persönliche Eindrücke der verschiedenen Hengstlinien zu bekommen. Schon da fiel mir ein Vererber besonders auf: Alme Baronen. Seine Fohlen hatten alles das, was ich mir unter „Fjordpferd“ vorstelle: Typ, Gang, Knochen und vor allem Präsenz. Da dieser Hengst auch auf der Körung in der Althengstgruppe zu sehen sein würde, machte ich mir innerlich schon meine ersten Notizen.
In der folgenden Nacht schlug das Wetter um: die Temperaturen sanken, es wurde feuchtkalt im Bus und am Morgen begrüßte uns ein verschneiter Nordfjord! Dankbar bezogen wir nun doch das Gästezimmer in Erhards Haus, das wir bis dahin bescheiden abgelehnt hatten. Den pferdefreien Tag verbrachten wir mit dem Einkauf von Wollsocken und warmer Unterwäsche...
Teil II: Ähnlich und doch anders: die norwegische Körung
Die norwegische Körung ist deutlich umfangreicher als wir es in Deutschland gewohnt sind. Im Jubiläumsjahr sollte sie sich über 5 Tage hinziehen!
Die Hengste werden in Norwegen mehrfach vorgestellt:
Bei der ersten Vorstellung – mindestens dreijährig- wird neben Freilaufen, Freispringen und Pflastermusterung auch eine Fahrprüfung gefordert, bei der sie vor einen schweren, ungebremsten Arbeitswagen ( 500kg) gespannt werden. Die geforderten Lektionen sind zB Halten an Steigung und Gefälle, fahren von engen Wendungen, Rückwärtsrichten. Beurteilt wird der Arbeitswille, die Bewegung, aber auch das Verhalten beim An- und Ausspannen. Ich bin von der Leistung und Gelassenheit dieser sehr jungen Pferde immer tief beeindruckt!
Das erhoffte Urteil „kåret“ ist eine einjährige Zuchtlizenz.
Beim zweiten Vorstellen können die Hengste eine Zuchtzulassung bis 8-jährig erlangen. Sie durchlaufen erneut die gleichen Stationen wie beim ersten Mal. Statt der Fahrprüfung müssen sie aber die „utvida bruksprøve“ absolvieren, die erweiterte Gebrauchsprüfung. Sie entspricht etwa unseren gerittenen Feldprüfungen, ist aber ergänzt durch eine dressurmäßige Fahrprüfung. In dieser Klasse wird sehr stark ausgesiebt: nicht selten fährt der Vorjahressieger ohne Zuchtzulassung wieder nach Hause. Auch die Prämien ( 1.,2., 3.,) werden in dieser Klasse je nach Qualität vergeben.
Mit 8 Jahren muss ein Hengst das dritte Mal vorgestellt werden, eine Prüfung wird dann nicht mehr gefordert. Wenn er sich nicht gut entwickelt oder vererbt hat, kann er seine Zuchtzulassung durchaus verlieren, aber er kann auch seinen Prämiengrad durch erfolgreiche Nachzucht oder gute Entwicklung verbessern.
Angemeldet sind – über alle Klassen- etwa 30 bis 40 Hengste, mehr als die Hälfte davon sind 3 Jährige.
Die Körung beginnt mit der veterinärmedizinischen Untersuchung der Pferde vor Ort, die sehr gründlich und gewissenhaft durchgeführt wird. Ihr Ergebnis ist Teil des Körprotokolls, und so mancher Hengst musste schon direkt danach die Heimreise antreten.
Es folgen Freilaufen, Freispringen und Mustern auf festem Grund. Dann schließen sich die verschiedenen Prüfungen an, deren Ergebnisse am Ende öffentlich ausgehängt werden.
Am letzten Tag folgen die klasseweisen Schrittringe mit Bekanntgabe der Ergebnisse.
Soweit erscheint die norwegische Körung nicht viel anders als unsere, nur etwas mehr in die Länge gezogen. Wie aber die Norweger die Körtage – besonders natürlich auf der Jubiläumsschau 2019- mit Leben füllen, ist schon für sich einen Besuch wert!
Da gibt es Schauprogramme, Umtrunke und ein Festbankett, viele Reden und Preisverleihungen, Vorlesungen und Filmpremieren. Am denkwürdigsten ist aber der traditionelle Umzug am Samstag Morgen, dem letzten Tag der Körung: durch die historische Altstadt Nordfjordeids bis zum Veranstaltungsplatz- die Schrittringe und Bekanntgaben finden bei jedem Wetter draußen statt.
Blaskapelle vorweg, danach -Kutschen mit Kindern und Offiziellen- und alle vorgestellten Hengste, geritten oder and der Hand. Viele Teilnehmer tragen dabei norwegische Trachten, der Ort ist geschmückt, es flattern die Fähnchen- ein unvergessliches Bild!
Da wird einem bewusst, dass das Fjordpferd nicht irgendeine Rasse ist, sondern Teil der norwegischen Identität, ein nationales Symbol. Immerhin prangt es auch auf der Rückseite einiger Krone-Münzen. Und so ist es für die Aussteller der Hengste eine Ehre und beinahe Staatsbürgerpflicht, ihre Pferde vorzuzeigen,- wohl wissend, dass die Besucher aus aller Welt zahlreich sind, und das internationale Interesse an ihren Zuchtprodukten groß ist.
Teil III: Ein verspätetes Mitbringsel oder : Die Katze im Sack
Und in diesem Jahr war ich einer der Besucher. Es waren großartige Tage, die wir mit stundenlangen Fachsimpeleien, dem Knüpfen und Vertiefen von Bekanntschaften und Pferden, Pferden, Pferden verbrachten. Selbst meinem Mann wurde es ( fast) nicht zu viel. In den freien Zeiten zwischen den Programmpunkten stöberten Jochen, Jacki und ich in Erhards umfangreicher Bibliothek aus alten Zuchtbüchern und Ausstellungskatalogen, verglichen unsere Notizen zu den Hengsten, bewunderten Erhards kleine Rinderzucht und suchten Kälber in den Fjordhängen.
Ich hatte ja schon erwähnt, dass ich mir mit Alme Baronen einen Favoriten aus den Althengsten herausgepickt hatte- er wurde mit einer ersten Prämie ausgezeichnet.
Auch unter den 3-Jährigen konnte ich zwei Nachkommen bewundern, die beide gekört wurden: Feedts Lindemann und Fleslands Fønix. Auch sein Vater Fjelltor war vor Ort, um sich seine 1. Prämie für die Nachkommensbeurteilung abzuholen.
Und so wuchs in meinem Kopf die Idee, dass man für 2020 ja auch mal einen Hengst aus Norwegen pachten könnte... Zu dumm, dass mein Mann mit war, denn so konnte ich die Idee gleich mit ihm besprechen ( „mach doch“) und in die Tat umsetzen:
Ich sprach Alme Baronens Haupt-Besitzerin ( viele Hengste gehören dort Eigentümer-Gemeinschaften) an: Sie war der Idee recht zugetan und würde sich in den nächsten Tagen bei mir melden. Damit war der Stein ins Rollen gekommen.
Wir traten unsere Heimfahrt gleich nach Ende der Körung am Samstag an- müde, zufrieden, ein bisschen durchgefroren und ein bisschen aufgeregt angesichts der ungeplanten Pläne – von wegen, nur zum Zuschauen hinfahren!
Kaum wieder zuhause kam dann die ersehnte Nachricht der Besitzerin mit dem Pachtpreis, den sie sich vorstellte. Der fiel etwas höher aus als die Vernunfts-Grenze, die ich persönlich mir gesetzt hatte. Und während ich noch überlegte, ob und wie ich absagen sollte, wurde einer der 3-Jährigen Söhne – Lindemann- von der gleichen Eigentümergemeinschaft zum Verkauf angeboten...
Er war auf der Körung eine Erscheinung, die mir Gedächtnis geblieben war: groß – sehr groß! Typvoll, starkknochig, freundlich, insgesamt noch sehr schlacksig, aber vielversprechend. Passend zu meinen Stuten. Die Fahrprüfung der Junghengste hatte er mit Bestnote bestanden.
Mit dem Gedanken an Pacht war die Tür zu „viel Geld ausgeben für ein halbes Jahr“ aufgestoßen – der nächste Schritt war dann gar nicht mehr so groß: noch mehr Geld ausgeben und das Pferd behalten... Dabei wollte ich doch nie einen eigenen Hengst!
Mein Mann war auch wieder kein verlässlicher Fels der Vernunft ( „mach doch“), und so kaufte ich wenige Tage später per Facebook mit drei Sätzen ( etwa: „Noch da?“ Wieviel?“ und „Verhandelbar?“) ein Pferd, dass in Norwegen steht und dessen Besitzer kaum etwas anderes als norwegisch spricht...
Auch wenn ich diesen Hengst auf der Körung gründlich beobachten und mir einen Eindruck verschaffen konnte- kennen gelernt hatte ich ihn nicht!
Hoffentlich würde die Chemie zwischen uns passen!
Hoffentlich würde er sich so entwickeln, wie ich vermutete! ( ein „vielversprechend“ ist schnell notiert, wenn man nur als Zuschauer die Körung verfolgt und keine weiteren Pläne hat)
Hoffentlich würde ich diese Schnapsidee nicht bereuen!
Die darauf folgenden Ereignisse sind fast eine eigene Geschichte wert, deshalb hier nur die Kurzform: Im September fuhren wir also erneut nach Norwegen, um unser neues Familienmitglied in Empfang zu nehmen.
Lindemann brauchte eine Weile, um anzukommen und ich habe ihm die Zeit gegönnt und zum Kennenlernen genutzt. Im Februar wurde er in Neumünster anerkannt und darf nun auch in Deutschland decken. Seit dem Frühjahr trainiere ich ihn vor der Kutsche und plane für 2021 die ersten Turnierteilnahmen.
In Norwegen erblickt derzeit sein erster Jahrgang das Licht der Welt und verspricht Großes: Seine Fohlen zeigen, was ich mir von ihm als Vererber erhoffe.
Aber all das tritt in den Hintergrund, wenn ich ihn um mich habe: er ist ein wundervolles Pony, das ich mir besser nicht wünschen kann.
13.07.2020 Gesche Mahncke