Vielen Menschen ist es vergönnt, in ihrem Leben von einer Pferde-Persönlichkeit begleitet zu werden, die sie prägt und fördert.
Für mich ist das mein Fjordwallach Ingvar, den heute alle „den Professor“ nennen. Grund genug, ein bisschen von ihm zu erzählen.
Teil 1: Mein Weg zum selbstgezüchteten Nachwuchspferd
Ich fange mal ganz vorn an: Mitte der 90er Jahre hatte ich ganz weit im Osten Deutschlands, wohin es mich beruflich verschlagen hatte, meinen Mann kennen gelernt, der, obwohl überzeugter Schleswig-Holsteiner, gerade dabei war, dort einen alten Resthof zu renovieren. Nachdem mein Fjordwallach Teetje und ich auf diesem Hof mit eingezogen waren, entstand der Wunsch nach einem weiteren Fjordpferd, und zwar einer großen, zur Zucht geeigneten Stute.
Aber woher nehmen? Ich fuhr mit dem Zug zu einem Treffen der Regionalgruppe Berlin / Brandenburg der Interessengemeinschaft Fjordpferde und erzählte von meinem Wunsch. Und einige Zeit später erreichte mich tatsächlich ein Telegramm (!) von Renate Gödde: Sie habe da etwas für mich, eine fünfjährige große Stute aus Dänemark..
Meine erste Zuchtstute: Sös Thorsö (v. Hilder)
Wir fuhren hin und nahmen den Pferdehänger gleich mit. Die Stute - „die hat einen ganz komischen Namen, S.O.S. oder so!“ - gefiel mir auf Anhieb, unter dem Bereiter des Fjordpferdehofs „Insel“ lief sie wie ein schickes Dressurpferd. Danach hievte ich mich nebst Babybauch – ich war mit meiner ersten Tochter Birte im 8. Monat – in den Sattel, wozu der Bereiter sie eisern festhielt. Seitengänge im Trab konnte sie, Stillstehen beim Aufsitzen musste sie noch lernen. Überhaupt hatte die Stute einen unglaublichen Vorwärtsdrang („...die zieht auf dem Stoppelfeld an wie ein Ferrari!“. Das war ich gar nicht gewohnt – aber ich würde das schon in den Griff kriegen. Genau diese Stute wollte ich haben.
Ich hatte gar nicht genug Geld dabei, durfte aber den Rest überweisen, und Sös Thorsö, die bei uns künftig „Thea“ gerufen werden sollte, fuhr gleich mit uns nach Hause in unser kleines Niederlausitzer Dorf. Drei Jahre später zogen wir auf einen Hof in der Nähe von Preetz.
Thea war sicher für erfahrene Züchter nicht die erste Wahl. Sie hat sehr steile Gliedmaßen und deshalb einen Trab nahezu ohne Schwebephase, dafür aber einen ungemein fleißigen Schritt, der mich von ausgedehnten Wanderritten träumen ließ, und einen unbezahlbaren Charakter. Hinsichtlich ihres Leistungswillens war ein gutes Rennpferd an ihr verloren gegangen - „lieber tot als Zweiter!“, bei Ausritten musste sie immer vorn gehen, sonst war sie nicht glücklich. Aber sie konnte auch sanft und rücksichtsvoll sein. Der Integrative Kindergarten setzte sie viele Jahre lang als Therapiepferd ein, wobei sie immer freundlich und geduldig blieb und gerade die kleinen, mehrfach behinderten Kinder wie rohe Eier behandelte.
Thea legte gesteigerten Wert auf eine Weidebedeckung. Ihr Erstling, ein Hengstfohlen von Björlo, das wir Birger nannten, kam 1998 noch in Brandenburg zur Welt und wurde prompt Niederlausitzer Schausieger, was über seine tatsächliche Qualität aber nichts aussagt: Er war einfach das einzige Fohlen überhaupt mit vollständiger Abstammung...
Ingvars Vater Isidor
Offenbar vererbte Thea sich nicht so groß und schwer, wie sie selbst war. Ihre beiden ersten Fohlen, Birger und seine Halbschwester Svala von Jokum, sahen nicht so aus, als würden sie groß genug für mich. Deshalb suchte ich für mein Nachwuchspferd gezielt nach einem Hengst, der „groß vererbte“ und fragte die Hengsthalter nach Erfahrungswerten. Bei Isidor wurde ich fündig: „Der kriegt auch mit einer 1,38-Stute ein 1,50-Pferd hin!“, versprach mir die Besitzerin. Na, genau das wollte ich doch – und Thea war ja immerhin 1,44m groß.
Isidors Besitzer zu finden war nicht schwierig, Isidor selbst schon eher. „Fahren Sie mal einfach hinter mir her!“, wies Hanno Harder uns an. Folgsam kurvten wir also mit Thea im Anhänger eine knappe halbe Stunde lang über kleinste Straßen und Wirtschaftswege durch grünes Wiesenland, bis sich auf einer Koppel Fjordpferde zeigten. Dazwischen ein imposanter graufalber Hengst. Das war er!
Thea mochte ihn sofort leiden. Wir ließen sie mit Isidor in der grünen Weite am Ende der Welt zurück, sie hatte ein paar schöne Urlaubstage und fohlte erwartungsgemäß elf Monate später – nein, nicht Ingvar, sondern erst mal dessen ältere Schwester Sigune.
Gerade von Sigune war mein Mann absolut entzückt. Oft stand er am Zaun und sah dem langbeinigen Stutfohlen zu, wie es in tollen Bocksprüngen über die Koppel tobte, rasante Kreise um seine Mutter galoppierte oder die Vorderbeine wie eine Giraffe spreizte, um zu grasen. „Das ist ein Spitzenfohlen!“, verkündete er. „Da fahren wir gleich noch mal hin.“
Gesagt, getan. Mitte Juni 2001, einen Monat nach Sigunes Geburt, setzte sich unser Pferdehänger erneut mit Thea, diesmal mit ihrer Tochter, nach Nahe in Bewegung und die beiden machten erst mal wieder Ferien bei Isidor und seinen Stuten im grünen Nirgendwo bei Henstedt-Ulzburg.
Ingvar als Fohlen
Elf Monate später passierte – nichts. Thea kugelte durch die Gegend, machte aber keine Anstalten zu fohlen. Woche um Woche verging, in der Thea jede Nacht auf der kleinen, vom Schlafzimmer aus einsehbaren Koppel stand – kein Fohlen.
Und dann im Juni, ziemlich genau ein Jahr nach der Bedeckung, lag am Morgen etwas Kleines, Falbfarbenes neben Thea im Gras. Meine älteste Tochter und ich liefen gleich hinaus, um den Neuankömmling zu betrachten. Und Birte wurde immer stiller.
Als wir wieder ins Haus gingen, druckste sie herum und sprach es schließlich aus: „Weißt du, Mami... ich finde Theas Fohlen nicht niedlich...!“
Das konnte ich verstehen. Besonders hübsch war der kleine Hengst wirklich nicht: Er hatte Beine, die im Verhältnis zu dem kurzen, mageren Rumpf viel zu lang wirkten und viel zu dicke Gelenke hatten, der Kopf war für den kurzen Hals deutlich zu groß. Da passte nichts zusammen – ganz im Gegensatz zu dem hübschen Shetlandfohlen, das Birtes Stute drei Wochen vorher geboren hatte.
„Warte es ab“, sagte ich. „Und überhaupt – wir können ihn ja nicht zurückgeben.“
Und ich sollte Recht behalten. Der kleine Ingvar wuchs heran und wurde mit jedem Tag harmonischer. Und größer.
Als Ingvar vier Wochen alt war, gingen wir zum Fohlenbrennen nach Wakendorf. Damals war die Preetzer Umgehungsstraße, heute B 76, die direkt hinter unserem Hof verlief, fast fertig, aber noch nicht in Betrieb. Wir konnten sie also nutzen, um auf kurzem Wege mit unseren Fohlen nach Wakendorf zu reiten: Birte mit ihrer Shetlandstute, ich mit Thea und Ingvar.
Ingvar war beeindruckt von der Reithalle und den fremden Menschen und zeigte, was er konnte. Wahrscheinlich hatte seine Mutter ihm noch eingeschärft: „Denk dran, du musst ganz schnell galoppieren!“ - sagte ich schon, dass in ihrem Körper eine Rennpferdeseele schlummert? Bedauerlicherweise waren deshalb bei Ingvars Auftritt vor der Eintragungskommission höchstens zwei Trabtritte dabei. „Findet den Takt nicht!“, stand später in der Beurteilung. Aber immerhin wurde ihm ein gutes Fundament bescheinigt. Eine halbe Stunde später traten wir ohne Fohlenprämie, aber mit frischem Brandzeichen den Heimweg an.
23.07.2020 Antje Kock aus Preetz
Wie die Geschichte mit Ingvar weitergeht, könnt Ihr in wenigen Tagen im Teil 2 lesen!