Therapeutisches Reiten in der Rosa-Settemeyer-Stiftung, Behinderten-Heimat Norderstedt
Die Rosa-Settemeyer-Stiftung in Norderstedt bietet Menschen mit Behinderung eine Heimat. Etwas Besonderes ist, dass hier auch drei Islandpferde wohnen und ein Reitlehrer angestellt ist. So kann den Bewohnern therapeutisches und pädagogisches Reiten kostenlos zur Verfügung gestellt werden.
„Wir sehen die Reitstunden als einen Mix aus Bewegungstherapie und Pädagogik“, erklärt Isabell Renner, die donnerstags als Assistentin beim Reiten agiert. So würden die Bewohner der Stiftung mithilfe der Pferde ein Bewusstsein dafür entwickeln, dass hier ein Lebewesen steht, ein Tier, das auch Schmerz und Freude empfinden kann. „Es ist so schön, zu sehen, wie zärtlich manche der Bewohner mit den Tieren umgehen und sie als ihre Freunde ansehen“, erzählt Renner.
Durch die Arbeit mit den Pferden können die Menschen mit Behinderung viel Selbstbewusstsein entwickeln. „Jeder hier wird nach seinen Fähigkeiten in die Versorgung der Pferde einbezogen und bekommt damit auch Verantwortung zugesprochen“, erklärt Renner. So äppeln einige Bewohner die Weiden ab und machen die Boxen sauber. Die Helfer bekommen dafür ein Taschengeld als Entlohnung. Auch beim Reiten, das an drei Nachmittagen pro Woche stattfindet, werden Aufgaben verteilt. „Manche helfen beim Putzen und Satteln der Pferde, andere holen die Reiter aus ihren Zimmern oder Wohngruppen zum Reiten ab“, berichtet Renner und fügt hinzu: „Zum Team Reitstall zu gehören macht die Menschen stolz.“
Die Abläufe beim Reiten in der Stiftung hat sich Uwe Schenk genau überlegt und seit Anfang der 1990er Jahre eine klare Aufbau- und Ablauforganisation entwickelt. Der Sonderschulpädagoge hat sich im therapeutischen und pädagogischen Reiten weitergebildet und ist bei der Stiftung als Reitlehrer angestellt. Er hat auch die Vierbeiner ausgesucht und sich für Islandpferde entschieden. Das hat sicher auch etwas mit seiner Vorliebe für die robuste Rasse zu tun, denn Schenk züchtet seit Jahren Islandpferde.
Routine ist wichtig
Die Tiere eignen sich aus verschiedenen Gründen aber auch besonders gut für das therapeutische Reiten. „Zum einen ist da die Größe“, erklärt Renner. „Sie sind handlich und als Assistent kann man die Reiter gut festhalten.“ Die Gangart Tölt ist für die Reiter leichter zu sitzen als der Trab, außerdem sind Isländer nicht besonders schreckhaft und neigen nicht zum Durchgehen. Natürlich ist nicht jedes Pferd dieser Rasse für den Job geeignet. Schenk ist daher durch ganz Deutschland gefahren, um die drei besonders ausgeglichenen und leicht reitbaren Pferde für die Stiftung zu finden.
Von Dienstag bis Freitag stehen die vierbeinigen Bewohner der Stiftung im Stall oder auf der Koppel neben den Wohnhäusern. Am Wochenende geht es dann zur großen Koppel in Hasloh, Kreis Pinneberg. Hier können sie entspannen und den Kopf frei bekommen, denn die Arbeit mit den Menschen ist für die Pferde anstrengend. Doch sie sind mit Hingabe dabei und wissen genau, wo sie was mit wem machen können. „Auf der Koppel buckeln sie sich auch mal so richtig aus, aber mit ihren Reitern sind sie sehr nachsichtig“, erzählt Renner und fügt hinzu: „Sie lassen sich auch mal ein bisschen an den Ohren zuppeln und bleiben cool, wenn es mal lauter wird.“ Das kann schon mal passieren, denn die Freude und die Aufregung sind immer groß, wenn Reittag ist.
Damit alles möglichst ruhig vonstattengeht, sind die Abläufe immer gleich. „Alles ist total routiniert, aber man muss trotzdem immer helfen. Es kann sein, dass einer, der schon hundertmal aufgetrenst hat, plötzlich vergisst, wie es geht. Mal eben die Abläufe ändern, das geht da nicht“, weiß Renner. Änderungen werden von Schenk immer vorher mit allen besprochen. Teil der Routine ist, dass jedes Pferd seine eigene Ausstattung in einer bestimmten Farbe hat. Strick, Halfter, Satteldecke, Abschwitzdecke und Putzzeug sind also rot, grün oder blau. „So wissen auch die Bewohner, die nicht so gut lesen können, was zu welchem Pony gehört“, erklärt Renner.
Jeder darf reiten
Die Reiter, die selbstständig reiten können, sind in zwei Gruppen aufgeteilt, die Schrittabteilung und die schnelle Abteilung. In Letzterer darf auch mal getöltet oder getrabt werden. „Ich habe auch einen Schüler, mit dem ich das Leichttraben übe“, erzählt Renner. Eine andere Schülerin übe das Halten. „Sie freuen sich immer über Extraaufgaben“, weiß die 28-Jährige.
Nicht jeder der Bewohner kann reiten, aber jedem, der es möchte, wird es ermöglicht. Daher hat die Stiftung nicht nur den Stall, sondern auch eine kleine Reithalle mit einem fest installierten Lifter. „Nur weil man sich nur eingeschränkt bewegen kann und im Rollstuhl sitzt, ist das kein Hindernis“, erklärt Renner. In der Regel führt einer der Bewohner das Pony. Schenk und Renner laufen mit, sind zur Absicherung da und halten im Notfall auch die Bewohner fest.
Das Reiten hat auch körperlich positive Aspekte. „Durch die gleichmäßige Bewegung lösen sich Verspannungen in der Muskulatur", erklärt Uwe Schenk. Die Wärme des Tiers verstärke das angenehme Gefühl. Auch Renner hat gemerkt, was das Reiten mit den Menschen macht: „Manche musste ich am Anfang noch ganz doll festhalten, aber nach einiger Zeit sitzen sie viel sicherer auf dem Pferd.“
Manche kämen auch quengelig, hektisch oder schlecht gelaunt zum Reiten, doch meist halte dieser Gemütszustand nur für ein paar Runden an. „Das Reiten bringt Ruhe“, ist sich Isabell Renner sicher. Sie selbst ist ebenfalls Reiterin und kennt das erdende Gefühl. „Es ist so schön, zu sehen, was es mit den Menschen macht, die ihre Gefühle und Empfindungen manchmal gar nicht ausdrücken können.“
Das Reiten ist bei der Rosa-Settemeyer-Stiftung, Behinderten-Heimat Norderstedt, inklusive, doch das geht nicht ohne Spenden. Gerade erst gab es eine große Spende, weil die Pferde immer beim Sankt-Martins-Ritt dabei sind. „Das freut uns dann ganz besonders“, sagt Renner.
Lena Höfer